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Nov 30

Freizug der Turnhallen – warum gibt es keine Alternativen? Brief der Willkommensinitiativen aus Charlottenburg-Wilmersdorf

Die Heerstrasse ist noch immer nicht bezogen, noch immer leben ca. 20.000 Menschen in Notunterkünften in Berlin, davon 3500 in Turnhallen – in ganz Berlin protestieren Geflüchtete, Initiativen und auch die MitarbeiterInnen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten.

Auch die Initiativen aus Charlottenburg-Wilmersdorf haben sich zusammengetan und heute folgenden offenen Brief an den regierenden Bürgermeister geschickt – es ist allerhöchste Zeit endlich an einem Strang zu ziehen und Lösungen zu finden!

Unten stehend und im Anhang findet Ihr den offenen Brief aus Charlottenburg-Wilmersdorf an den Regierenden und einen offenen Brief aus Pankow, der ebenfalls von vielen Initiativen mit unterzeichnet wurde.

 

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
mit folgendem Aufruf wenden wir uns heute als Willkommensinitiativen aus Charlottenburg-Wilmersdorf an Sie:

die Situation der geflüchteten Menschen in den Turnhallen, in den Hangars oder anderen Notunterkünften ist Ihnen bekannt, auch Sie werden von vielen Einzelschicksalen gehört haben und wissen, dass diese Unterbringungssituation nach über einem Jahr immer unerträglicher wird. Darunter leiden nicht nur die Geflüchteten, die hauptamtlichen Mitarbeiter/innen und die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die die Hallen zum Sport nutzen wollen und sollen. Auch Flüchtlingshelfer und -helferinnen geben mehr und mehr entmutigt auf. Man schämt sich inzwischen in eine Turnhalle zu kommen und Deutschunterricht anzubieten oder zu einem Museumsbesuch einzuladen – es kommt einem wie Hohn vor angesichts der Tatsache, dass die Menschen zur Zeit ganz andere Sorgen und existenzielle Probleme haben. Wir spüren, dass die Menschen uns nicht mehr glauben, zu oft wurden ihre (und unsere) Hoffnungen enttäuscht.

Mit dieser Unterbringungssituation gefährdet Berlin nicht nur die physische und psychische Gesundheit der Geflüchteten, sondern auch die Berliner „Willkommenskultur“ insgesamt, da sie auch bei uns Freiwilligen Optimismus, Hoffnung und Handlungsfreude zerstört – Grundbedingungen, die notwendig sind, damit wir Menschen bei ihrem Start in ein neues Leben begleiten können.
Seit Februar schieben sich verschiedene Senatsabteilungen und die Bezirke den schwarzen Peter über den Tisch, mal sind Bauflächen nicht abgesprochen, mal Gelder nicht freigegeben, mal spielt der Finanzsenator oder das Umweltamt nicht mit, mal hat der Sozialsenator seinen Laden nicht im Griff und Ausschreibungen misslingen, der Hauptausschuss vertagt die Anforderung von Unterstützung: immer sind es die anderen, niemand ist verantwortlich und keiner löst die Probleme.

In Charlottenburg-Wilmersdorf ist von ursprünglich vier geplanten Standorten für Tempo-Homes oder MUFs bisher nicht einer in Angriff genommen worden, das fertig umgebaute Bürogebäude in der Heerstrasse 16 sollte im Juli bezogen werden – nun sieht es aufgrund von bürokratischen Problemen so aus, als könne es bis Ostern dauern.
Die Menschen sind verzweifelt, krank, erschöpft – sie können einfach nicht mehr. Alle Beteiligten wissen, dass die Zeit drängt, aber wo ist der Wille, die Probleme wirklich zu lösen?
Wenn es mit den Ausschreibungen nicht klappt, wer diskutiert andere Lösungswege?

  • Wo ist die Taskforce, die sicherstellt, dass leerstehende Räumlichkeiten sofort nutzbar werden und die notwendigen Wohnungen, Tempo-Homes und MUFs ohne weitere Zeitverzögerung und ohne Behördenhickhack entstehen können?
  • Wenn es mit den Interimsausschreibungen für bereitstehende Gebäude schwierig ist: Warum ziehen nicht die Betreiber der Turnhallen mit ihren Bewohnern gemeinsam in die neuen Unterkünfte bis ein endgültiger Betreiber gefunden ist?
  • Warum betreibt Berlin die Unterkünfte nicht selbst für die Übergangszeit? Sei es direkt, sei es über eine bestehende oder neu gegründete Gesellschaft – in anderen Bundesländern ist das der Regelfall, dann sollte es in Berlin doch zumindest für eine Übergangszeit möglich sein?
  • Oder ist die Situation nicht doch als so dringlich einzustufen, dass die Gebäude wie im vergangenen Jahr beschlagnahmt werden und Betreiber ohne Ausschreibung ausgewählt werden können?

Es kann nicht sein, dass Gebäude bezugsfertig bereitstehen und Menschen dennoch in Notunterkünften leben müssen, dafür muss es noch in diesem Jahr Lösungen geben. Und es kann nicht sein, dass es mit dem dringend benötigten Neubau so schleppend vorangeht.
Aus unserer Sicht als BürgerInnen und als Freiwillige, denen die Menschen in den Hallen am Herzen liegen, kann es jetzt nicht darum gehen Sündenböcke für vergangene Fehler zu finden. Wir können auch nicht darauf warten, bis die neue SenatorInnen und Staatssekretäre 100 Tage Zeit hatten, sich in ihre neuen Ämter einzufinden. Der Karren steckt im Dreck und muss herausgezogen werden.
Es ist Ihre Verantwortung als regierender Bürgermeister dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten endlich an einem Strang ziehen und kurzfristig Lösungen finden.

Mit freundlichen Grüßen

Willkommensinitiativen aus Charlottenburg-Wilmersdorf:

Willkommen im Westend
Willkommen-in-Wilmersdorf
Flüchtlingsinitiative Klausenerplatz
Freiwillige in der Prinzregentenstraße
Hockey hilft (Forckenbeckstraße)
Engagierte aus dem Halemweg
Netzwerk Berlin hilft

Hier die offenen Briefe zum Download:

Offener-Brief-aus-Cha-Wi-November-2016

29112016_Offener-Brief_Schließung-der-Turnhallen