Gestern wurde der Integrationspreis des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf an alle Flüchtlingsinitiativen im Bezirk verliehen. Bilder und Berichte eines schönen Abers folgen noch, hier aber schon einmal der Text der Rede, die Amei v. Hülsen-Poensgen stellvertretend für alle anderen gehalten hat:
Wir sollten das nicht bei einer Sonntagsrede belassen, sondern dranbleiben und die Dinge wirklich einfordern!
Sehr geehrter Herr Germershausen, Herr Naumann, sehr geehrte Frau Stückler, sämtliche Amts- und WürdenträgerInnen hier im Raum und natürlich liebe Helfer.
Herzlichen Dank für diesen Preis!
Wir freuen uns sehr über die Anerkennung und danken Ihnen dafür.
In anderen Ländern landen Bürger, die sich für Menschenrechte einsetzen im Gefängnis oder müssen fliehen und landen dann möglicherweise in unseren Turnhallen.
Wir dagegen bekommen einen Preis – das ist eines der besonderen Privilegien, in einem freiheitlichen Staat leben zu dürfen.
Ich stehe hier stellvertretend für viele: Manche frieren Stunden vor Ämtern oder verteilten in sengender Hitze Wasser und Lebensmittel. Andere sortieren Müllsäcke mit Kleiderspenden, organisieren Ausflüge ins Museum. Sie trösten Menschen, nehmen Wildfremde in ihre Wohnungen auf oder machen mit ihrer ganzen Familie Sonntags Ausflüge – gemeinsam mit Familien aus einem Flüchtlingsheim.
Dabei gehen Helfer und Helferinnen immer wieder auch an oder über ihre Grenzen, warum wissen wir aus den Zeitungen. Wie selbstverständlich erledigen sie inzwischen Dinge, die sie sich vorher nicht zugetraut hätten. Bei vielen Hilfestellungen hätten wir uns vorher allerdings auch nicht vorstellen können, dass sie überhaupt notwendig sein könnten in einem Land wie unserem, z. B.: bei der ärztlichen Versorgung oder Decken zu verteilen an Menschen, die nächtelang vor einer Behörde anstehen müssen.
Wir freuen uns darüber, dass mit diesem Preis keine Einzelnen, auch nicht eine einzelne Initiative herausgepickt wurde, sondern der Bezirk mit diesem Preis alle ehrt, die sich hier für geflüchtete Menschen einsetzen.
Und damit meine ich nicht nur die Anwesenden, sondern Hunderte und es wird sicher auch viele geben, die gar nicht wissen, dass sie heute diesen Preis bekommen haben. In der Vorbereitung dieses Abends heute haben einige Verwaltungsmitarbeiter graue Haare bekommen. Denn, wen sollte man einladen? Wie viele Mitglieder hat Charlottenburg hilft, oder, wer ist Ansprechpartner in der Forkenbeckstrasse? Welche Bündnisse und Gruppierungen gibt es überhaupt?
Wir sind stolz darauf, dass wir das s e l b s t nicht genau wissen. Was als zartes Pflänzchen in Westend um die Soorstrasse herum begann, ist heute eine Bewegung geworden. Bei jeder Turnhalle finden sich neu Menschen, die helfen wollen und zupacken. Vereine engagieren sich, Schulfreunde, Kollegen und Senioren tun sich zusammen. Nachbarn kommen vorbei und fangen einfach mal an mit dem Deutschunterricht.
Das, was wir hier erleben, ist eine echte Graswurzelbewegung, da wird nichts von oben gelenkt. Es gibt eine gemeinsame Basis für die vielen Graswurzeln, nämlich der Wunsch anderen zu helfen. Und besonders schön ist es, wenn dieser Wunsch sogar anfängliche Skepsis und Scheu vor dem Fremden besiegt. Allen, die es noch nicht probiert haben sei gesagt, nach dem 3. Tag in der Kinderbude einer Unterkunft verlieren Sie wie von selbst die Angst vor „dem Flüchtlingsstrom“, und erkennen, dass da keine Fluten kommen, sondern Menschen.
Die gemeinsame Arbeit und Erfahrung ist ein menschlicher Gewinn für uns alle, die wir uns engagieren. Und da meine ich ganz ausdrücklich auch diejenigen, die selbst als Flüchtlinge kommen und in besonderer Weise als Sprachmittler helfen, als Multiplikatoren und besonders nahe Kümmerer. Ohne Euch ginge gar nichts. Und ich bin bestimmt nicht die Einzige, die das als echtes Geschenk empfindet: Dieses Spüren, dass Menschlichkeit, Empathie, helfen Wollen universal ist, nicht von Religionen oder Kulturen abhängt und einen mit Leuten verbindet, deren Leben bisher nicht unterschiedlicher hätte verlaufen können.
Danke an Euch in ganz besonderer Weise!
Auch wenn wir als bunter Flüchtlingshelferhaufen schlecht in geordnete Einladungslisten passen, sind Solidarität und Menschlichkeit ganz offensichtlich der gemeinsame Nenner, auf den wir uns sofort und ganz schnell einigen können.
So auch bei der Verwendung des Preisgeldes. Ohne lange darüber zu diskutieren haben wir uns entschieden ihn aufzuteilen.
Die eine Hälfte geht nach Charlottenburg-Nord und soll den Vielen dort, die da vom ersten Tag an in der Poelchauschule zupacken, helfen. Danke an die multikulturellen Truppe um Marion Wettach, die hier für uns den Bilderbogen gestaltet hat. Danke an San und ihre Mitstreiter, die Anna Freud Oberschule, die Bonhoeffer Grundschule nebenan, an Reach Out und alle weiteren Aktiven des erprobten Netzwerks vor Ort und an diejenigen, die ich hier nicht aufgezählt habe, die einfach machen.
In Wilmersdorf und in Westend haben wir Spendengelder für Fahrkarten, Ausflüge oder Rechtsberatung – in Charlottenburg Nord gibt es zwar viele Aktive, aber wenig Geld, um Aktionen auch umsetzen zu können. Wenn dieser Preis helfen kann, das zu ändern, freuen wir uns für und mit Euch. Also ihr Lieben: Auf in den Zoo! (Wir waren schon da.)
Und auch bei der anderen Hälfte waren wir uns sofort einig. Nicht nur, weil so viele Geflüchtete aus irgendwelchen bürokratischen Gründen immer wieder in der Obdachlosigkeit stranden. Sondern auch und vor allem, weil gelebte Solidarität eben nicht nach Religion, Nationalität oder sexueller Ausrichtung fragt und weil es uns wichtig ist zu zeigen, dass wir gerade heute niemanden vergessen möchten:
Die 2. Hälfte und damit 2.500 € möchten wir gerne weiterleiten an die Kältehilfe im Bezirk. Stellvertretend für all die vielen Professionellen und Ehrenamtlichen, die sich da engagieren geht hier der Dank an Hannah Mayer – Bitte sagen Sie ihn weiter. Seit vielen vielen Jahren wird in der Kältehilfe Großartiges geleistet auch Dank des Bezirkes, der diese Arbeit im Gegensatz zu allen anderen Bezirken finanziell unterstützt
Leider werden die Aufgaben hier nicht kleiner sondern größer. Wir wünschen uns, dass das Preisgeld hoffentlich auch den Graswurzeln bei Euch hilft, nicht nur der Bahnhofsmission oder der City Station sondern auch den kleineren Initiativen, die mit Notübernachtung, Frühstück oder Essensversorgung unterstützen. Hoffentlich macht das bei Euch schöne kleinere oder größere Projekte möglich!
Und hoffentlich finden wir gemeinsam mit der Lobbyarbeit für mehr sozialen Wohnraum Gehör bei den Verantwortlichen dieser Stadt und vielleicht sogar dem einen oder anderen privaten Investor.
Und damit zur Zukunft. Wir bekommen hier heute den Integrationspreis.
Dabei ist uns allen klar, dass wir mit der Integration der Geflüchteten im eigentlichen Sinn noch gar nicht anfangen konnten. Im Moment sind wir noch viel zu sehr damit beschäftigt, Lebensmittel mit zu verteilen, uns um warme Kleidung zu kümmern oder die medizinische Notversorgung zu organisieren. Wir bauen Betten – dabei wollen wir eigentlich Brücken bauen. Und um es klar zu sagen: Hier werden wir weiter Forderungen stellen und manchmal auch durchaus streitbare Partner bleiben.
Bei allem Verständnis für Überlastung, gerade bei den Mitarbeitenden im Land und auf bezirklicher Ebene und all die organisatorischen und personellen Probleme:
Die derzeitige Situation besteht seit Monaten. Und immer noch wird nach dem gleichen Schema wie am ersten Tag verfahren. Erst mal die Betten in die Turnhallen und dann werden die Menschen dem Prinzip Zufall überlassen, sprich: dem Sicherheitsdienst und dem hoffnungslos überforderten oder noch gar nicht vorhandenen Personal der Betreiber. Bei jedem Helene Fischer Konzert gibt es Einsatzpläne für die medizinische Versorgung der Besucher. In unseren Notunterkünften gibt es das auch nach der 78. Neueröffnung nicht. In den Turnhallen, in denen Menschen nach einer kräftezehrenden Flucht auf engstem Raum unterkommen müssen ist es pures Glück, wenn da ein freiwilliger Arzt auftaucht, der sich in den ersten Tagen um die Neuankömmlinge kümmert und die Medikamente vielleicht sogar auch noch aus eigener Tasche bezahlt, Auf dieses Glück dürfen wir uns nicht mehr verlassen, wir brauchen Einsatzpläne – wie bei Helene Fischer..
Sorgen bereiten uns des Weiteren die hygienische Bedingungen in den Hallen. Hier im Bezirk kann man sich wenigstens überall die Hände waschen, aber einfache Präventionsmaßnahmen wie Händedesinfektion findet man fast nirgends. Weiter beobachten wir immer wieder, dass das an sich vorgeschriebene Personal von den Betreibern nicht eingestellt wird. Manche Betreiber tun das bewusst um Profit zu maximieren, manche, weil Ihnen aufgrund unbezahlter Rechnungen das Geld fehlt oder auch schlicht, weil es kaum mehr geschulte oder zumindest erfahrene Leute gibt, die bereit ist mit Zeitverträgen zu arbeiten. Hier sind Kontrollen notwendig, aber auch die Suche nach Lösungen. Wir können hier eine Zeitlang in die Bresche springen, Sie dürfen uns damit aber nicht alleine lassen..
Als Freiwillige können und wollen wir professionelle, staatliche Strukturen niemals ersetzen.
In diesem Bezirk erleben wir bereits die Ansätze eines Umdenkens, manchmal aber auch das Gegenteil. Deshalb die Bitte an Sie alle, die Sie in Charlottenburg-Wilmersdorf Verantwortung tragen: Bitte sagen Sie uns nicht, Sie seien nicht z u s t ä n d i g . Wir sind es nämlich auch nicht.
Die Geflüchteten sind hier und es sind Tausende, Männer, Frauen und Kinder. Die Landesebene ist ganz offensichtlich schon mit der Versorgung überfordert und wir hier vor Ort dürfen da nicht wegschauen.
Wir müssen die Neuankömmlinge nicht nur versorgen, sondern ihnen hier bei uns einen Start in unsere Gesellschaft ermöglichen. Das können wir nicht alleine.
Lassen Sie uns gemeinsam versuchen Unmögliches möglich zu machen. Wir suchen gern mit Ihnen auch nach unorthodoxen Lösungen – darin haben wir Erfahrung. Der Runde Tisch der Initiativen ist ein ermutigender Anfang, aber öffnen Sie ihn in die Verwaltung hinein. Holen Sie Verantwortliche von Seiten der Verwaltung dazu und lassen Sie uns Kräfte und Kompetenzen bündeln, vielleicht können wir auf Ressourcen zurückgreifen, die Sie nicht haben.
Hier im Bezirk sitzen derzeit viele Freiwillige in den Hallen oder bei unbegleiteten Minderjährigen und versuchen ihnen, wenigstens Grundbegriffe in Deutsch zu vermitteln. Es dauert quälend lange, bis Kinder in Willkommensklassen kommen. Können wir helfen das zu beschleunigen und gibt es Zwischenlösungen, die wir gemeinsam auf die Beine stellen können?
Thema bezahlbarer Wohnraum: Welche Bebauungspläne werden in Angriff genommen? Kann es Anweisungen geben, Umnutzungen oder Ausnahmen großzügig zu handhaben – anders als wir es jetzt gerade in der Schlossstr. erlebt haben? Wir würden und können gerne dabei helfen, leerstehende bezirkseigene Gebäude zu überprüfen, was sich wie u.U. durch Selbsthilfe in Wohnraum umwandeln liesse. Oder könnte man Besitzer leerer Wohnungen anschreiben und sie überzeugen zu vermieten, statt Luxus zu sanieren?
Stadtteilzentren müssen personell aufgestockt werden, wir brauchen mehr Integrationtslotsinnen oder –lotsen – wie können wir da mit Freiwilligen helfen? Welche Koalitionen lassen sich zwischen Arbeitgebern und Flüchtlingsheimen schmieden für Firmenbesuche und Praktika?
Ich könnte die Liste noch verlängern. Es geschieht schon ganz viel – auch von Ihrer Seite, das ist uns vollkommen klar. Aber es sind so viele Menschen, so viele einzelne Schicksale, so viele Chancen – und wir dürfen sie nicht zu lange in den Hallen alleine lassen, die Frustration und Perspektivlosigkeit dort tötet. Deshalb können wir hier vor Ort auch nicht auf die die im Grunde zuständigen Landes- und Bundesämter warten, die sind überfordert, das wissen wir. Wir müssen den Geflüchteten jetzt Wege in die Zukunft öffnen.
Wir haben wenig Zeit, bitte lassen Sie uns jetzt hier in Charlottenburg-Wilmersdorf die Ärmel hochkrempeln. Gemeinsam schaffen wir das.
Bevor wir das aber tun, sollten wir den heutigen Abend geniessen. Wie schön, einmal feiern zu dürfen, ohne dass wir es selbst organisieren und die Getränke schleppen müssen!
Herzlichen Dank für den Preis und diesen Abend an den Bezirk und natürlich auch an das Ellingtonhotel!
Und jetzt freuen wir uns auf Bashar und seine Freunde, die zur Zeit im Rathaus Wilmersdorf leben.